Abendrot

So still, so warm,
so liebevoll scheint
das glutrote Gestirn
vom Himmel herab.

Wärmt die Bäume,
die vereinzelt sich nach oben recken,
wärmt den Stein,
auf dem ein Salamander sitzt,
wärmt den Wind,
der leise die Erde streichelt
und vergoldet
den Panzer eines Käfers,
der brummend
über den Grashalmen fliegt.

Wäre ich ein Maler
und hätte ich Farben und Staffelei bei mir
ich würde sofort beginnen zu malen…

Wäre ich ein Dichter
und hätte ich Feder und Tinte bei mir
ich würde sofort beginnen zu schreiben…

Und das Bild würde die Ebene vor mir zeigen,
getaucht in blutrotes Licht,
und getaucht in Blut
das noch immer
aus den Körpern der Erschlagenen rinnt.

Und mein Gedicht würde ein Epos sein,
ein Hohelied auf Ehre und Mut
all der unbeugsamen Kämpfer,
die zum Morgenrot
noch lebten.

Und getaucht in die letzten Strahlen
der untergehenden Sonne,
gestützt auf sein Schild
und das schartige Schwert
ein Überlebender, ein Krieger,
der jüngste von allen…
auch ihn würde mein Bild zeigen.

Und die Stille um ihn
ist wie ein Donnerhall,
er fühlt nicht den Wind,
der seine Haare zerzaust,
spürt nicht den Schmerz
seiner Wunden –
nur das Abendrot brennt sich
blutrot in seine Augen,
deren stumpfen Blick
mein Gedicht mit Worten einfängt.

ER kennt
die wahre Geschichte,
ER weiss jetzt,
dass ein Krieger zu sein
schwerer ist
als nur das Schwert zu schwingen
und alles
erscheint so sinnlos,
jetzt im Abendrot.

Und doch ist das alles nicht genug,
ist es nicht zu Ende hier,
ist das Bild nicht das letzte in einer langen Reihe,
das Gedicht nur eines unter vielen…

Ein neuer Morgen wird kommen,
mit einem neuen Morgenrot
und seine Kinder und deren Kinder
werden die Bilder sehen
mit offenem Mund staunend
und die Gedichte hören
mit leuchtenden Augen
und dann werden sie Spiele spielen
mit Holzschwertern und Holzschilden
und sie werden davon träumen
wie ER einmal besungen zu werden,
auf Leinwand verewigt,
ein siegreicher Krieger, ein Held zu sein
und so ein Abendrot zu erleben.

Warum nur?